Ich wurde am 3. September 1876 in Irmenach im Hunsrück geboren. Mein Vater war ein kleiner Landwirt; doch verfügte er als solcher über eine ziemlich ungewöhnliche Intelligenz […] Meine Mutter war eine kleine, ruhige, oft zu stille Frau […] Zwei meiner Geschwister, Peter und Karoline, sind bedeutend älter als ich […]
Im Großen und Ganzen wurde an mir sehr wenig erzogen. Meinen Eltern fehlte dazu die Zeit. Da ich gut geartet war, ging auch alles ohne große Erziehungsmethode. Wenn ich aus der Schule kam, war es immer mein Erstes, meine häuslichen Schulaufgaben zu erledigen […]
In der Schule waren meine Lieblingslehrstoffe Geografie und Geschichte. Auch im Zeichnen bekam ich gute Noten; doch war der damalige Zeichenunterricht so uninteressant, dass man wohl kaum eine höhere Begabung auf diesem Gebiet von diesen Zeichnungen hätte ableiten können.
So war meine Schulentlassung herangekommen und die Frage meines zukünftigen Berufes noch immer nicht gelöst. Mein 16 Jahre älterer Bruder hatte den Stubenmalerberuf ergriffen und arbeitete hauptsächlich in Irmenach und Traben-Trarbach. Da man nichts Besseres wusste, kam ich zu ihm in die Lehre.
Halle, Winter 1894/95 und 1895/96
Zandersche Malschule
Einer meiner Lehrmeister hatte bei diesem Herrn Zander gearbeitet und erbot sich, an ihn in meinem Namen zu schreiben. Ich erhielt darauf von Herrn Zander einen äußerst liebenswürdigen Brief, der mich bewog, zum Besuche seiner Schule nach Halle zu reisen. Sie befand sich in seinem Hause in der Niemayer Straße. Herr Zander empfing mich aufs freundlichste. Er hatte mir schon eine Unterkunft besorgt. Es waren immer dieselben Familien, die im Winter Zandersche Malschüler aufnahmen […]
Die Schule lag in einem Gebäude im Hofe. In einem langen, schmalen Raume waren kleinere Abteilungen geschaffen. In jeder arbeiteten sechs Schüler auf großen an den Querwänden angebrachten Rahmen, die mit Papier bespannt waren. Ein mittlerer Gang verband die Abteilungen. Ein Lehrer, Herr Mücke, unterrichtete den ganzen Tag und auch noch abends. Einer der ersten Gehilfen aus dem Malergeschäft gab ebenfalls am Abend Zeichenunterricht. Es wurde nach Vorlagen gezeichnet und dieses in Farben ersetzt und später nach Gipsmodellen in Grau- oder Goldton gemalt. Mit dem Zeichnen kam ich ziemlich bald zurecht, aber meine Farbenzusammenstellungen waren eine Symphonie in Grau und Schwarz, so dass Herr Zander und Herr Mücke oft die Köpfe schüttelten und mich für koloristisch wenig begabt hielten.
Zürich, Winter 1896/97, 1897/98, 1898/99 und Sommer 1898
Ich besuchte die Kunstgewerbeschule in Zürich in den Wintern 1896/97, 1897/98, 1898/99 und im Sommer 1898. Ihre Räume lagen in dem neu erbauten Landesmuseum […]
Während meiner Schulzeit in Zürich kam auch die Konkurrenz für die Bemalung des Waffensaales im Museum mit Fresken zum Austrag. Ich sah unter den ausgestellten Entwürfen zum ersten Male Arbeiten von Hodler. Diese hatten den ersten Preis bekommen. Sie wurden aber vom Publikum und der Presse sehr angegriffen. Auch ich hatte damals noch kein Verständnis für die monumentale Auffassung dieses Künstlers und mir gefielen die theatralisch gehaltenen Aufzüge der anderen Künstler besser […]
Auch der Ethische Kongress, der in meine Züricher Zeit fiel, darf nicht unerwähnt bleiben. Es fanden sich da bürgerliche Männer ein, deren Ideen und Gewissen nicht im Einklang mit den Ideen und Handlungen der bürgerlichen Gesellschaft standen. Sie hatten eine Vereinigung gegründet, um durch gemeinsames Wirken das Gewissen der herrschenden Gesellschaftsklasse zu schärfen und es zum Mitgefühl mit den Enterbten zu bewegen […]
In den zwei Jahren, die ich in Zürich verbracht habe, fühlte ich mich sehr glücklich. Dort wurde ich erst zum denkenden Menschen.
Bukarest 1897/98
Über Wien und Budapest wollte ich nach Bukarest, um mir dort das Geld für die Reise Konstantinopel – Griechenland – Jerusalem – Ägypten – Italien zu verdienen. Im nächsten Frühjahr wollte ich dann wieder in der Schweiz eintreffen. Viele Kollegen hatten diese Reise gemacht, einer von ihnen in umgekehrter Richtung. Mit ihm hatte ich ein Zusammentreffen in Bukarest für den Sommer verabredet. Geld hatte ich wenig zur Reise. Ja, ich musste meinen Wirtsleuten in Zürich, braven Tschechen, noch Geld schuldig bleiben. Diesmal machte ich die Reise allein […] In Bukarest herrschte vollständige Gewerbefreiheit. Wenn ein Bau aufzufahren war, bekam ihn jeder, wenn er nur billiger war als die anderen. Den Hausbesitzern wurden Skizzen von Zander aus Halle und Lange aus Berlin gezeigt. Es wurden nämlich die Decken meist bemalt. Skizzen wurden ausgesucht, zu deren Ausführung oft zwei bis drei Tage gehörten […]
August 1899 bis April 1901, Winter 1901/02, Winter 1902/03, Herbst 1903 bis Frühling 1905
Es war Anfang August, als ich mich auf den Weg nach Paris machte. 300 Mark hatte ich mir in den vier Monaten erspart. Davon konnte ich in Paris schon eine Weile leben. In dem kommenden Jahre 1900 sollte die Weltausstellung in Paris stattfinden. Ich hoffte, bei der Ausschmückung der Gebäude Arbeitsgelegenheit zu finden. Auch wollte ich mich in Paris weiter ausbilden und dazu einen Teil des mir vom Vater schon ausgezahlten Vermögens verwenden […]
Als ich ihn (ein Schweizer Kollege von der Kunstgewerbeschule Zürich) nun fragte, ob es denn keine anderen Möglichkeiten gäbe, in Paris zu studieren, erinnerte er sich einer Privatakademie Colarossi, die nicht weit entfernt in der Rue de la Grande Chaumiére, zwischen dem Luxembourggarten und dem Boulevard Montparnasse lag. Hier konnte ich gegen Zahlung von 20 Francs vier Wochen lang täglich vier Stunden Akt oder Portrait, zeichnen oder malen. Es war eine Akademie, auf der Künstler ausgebildet wurden, eigentlich nicht das, was ich suchte. Denn ich wollte Dekorationsmaler bleiben, sagte mir aber, dass hierfür auch das Studium der Figur nichts schaden könne […]
Die Akademie war von einem ehemaligen Modell, einem Italiener, gegründet worden. Man lehrte dort Akt- und Portraitzeichnen und -malen, auch Modellieren. Die Korrektur wurde von mehreren Künstlern ausgeführt […]
Ungern verließ ich Paris. Es war mir eine zweite Heimat geworden. Wenn ich auch noch kein Künstler geworden war, so hatte sich mir doch die Kunst offenbart, und ich hatte wirklich große Kunst verstehen gelernt […]
1901, Sommer 1903 bis Frühling 1905
Meisterschüler der Berliner Akademie von 1905 bis 1911
Ich verkaufte meine wenigen Möbel, packte meine anderen Sachen in eine Kiste und einen großen Koffer und sandte dieses bahnlagernd nach Berlin. Denn dieses Mal sollte es nach Berlin gehen, das ich bis jetzt gemieden hatte […]
Um ein rechtes Urteil über den Wert meiner Arbeiten zu bekommen, entschloss ich mich, den Landschaftsmaler Leistikow aufzusuchen […]
Ich hatte das Gefühl, dass Leistikow, der in seinen Arbeiten auch eine strenge stilisierte Art hatte, die Natur zu sehen, meine Arbeiten verstehen müsste. Ich hatte diese Landschaften mit einer seltenen Hingebung an die Natur gemalt, wie man sie nicht immer als Künstler dem Objekt entgegenbringt. Ich wusste aber nicht, dass ich da Kunstwerke geschaffen hatte. Ich mache mich also eines Tages auf zu Leistikow […]
Er sah sich mit großem Interesse meine Arbeiten an, lobte sie, aber die größte Anerkennung war doch, dass er mich einlud, einige derselben in der Sezession auszustellen […]
So war ich plötzlich ein von der Mehrzahl der Maler beneideter Kollege geworden. Was hätten viele darum gegeben, in der Sezession auszustellen […]
Ich ging nun zur Akademie, um dort zu studieren. Auf dem Büro frug man mich, bei welchem Lehrer ich arbeiten wolle. Ich sagte: „Bei Professor Arthur Kampf.“ Von Kampf hatte ich ein Bild »Die beiden Schwestern« in der großen Kunstausstellung gesehen, das mir als Malerei sehr gefallen hatte […]
Bald nach meinem Eintritt sah ich, wie sehr die Ateliers bei Kampf begehrt waren und wie sehr die beneidet wurden, die ein Atelier inne hatten […]
Es waren sicher die ruhigsten, aber nicht glücklichsten Jahre meines Lebens, die nun folgten. Ich fühlte mich in Berlin nicht wohl […]
Ich begann nun auch wieder mit der Aktmalerei.
Dieses Mal hatte ich ein gutes Modell gefunden, das auch äußerst pünktlich und zuverlässig war, denn ließ mich ein Modell warten oder kam sie sogar eine Sitzung nicht, so machte mich dies furchtbar nervös. Olga Meißner, so hieß das Modell, kam auf die Minute. Sie und ihre Schwester Rosa waren die besten und schönsten Modelle, die es in Berlin damals gab. Beide waren rotblond und hatten deswegen eine wunderbar helle Hautfarbe.
Von Meyer hatte ich das Geld bekommen, und so konnte ich ja getrost nach Hause fahren. Ich kam ja nicht als Bettler, sondern als Meisterschüler der Berliner Akademie der Künste, nun war ich zum ersten Mal offiziell etwas.
Es war ein weiter Weg vom Anstreicherlehrling bis zum angehenden Meister in der Kunst, und ich hätte mit Recht darauf stolz sein können – aber was verstanden die zu Hause davon?